In einem Meetup von Frank Pyko wurden wir eingeladen, uns über zwei Fragen Gedanken zu machen:

  • Was war eine besonders positive Lernerfahrung?
  • Was war eine besonders ungute Lernerfahrung?

Gar nicht so einfach, eine Auswahl zu treffen. Aber eine positive Lernerfahrung stach dann doch für mich heraus: ein Urlaub auf einem Hausboot auf dem Canal du Midi.

Urlaub als Beispiel für Lernprozesse? Genau. Ich nutze gerne Beispiele aus dem privaten Leben für Reflexionen – sie sind meistens überschaubarer und damit schneller zu erfassen, und häufig überraschender. Warum? Im Alltag lernen wir gewöhnlich nebenbei, es fällt uns gar nicht auf. Um so mehr Einsichten ergeben sich, wenn man über diese beiläufigen Lernprozesse nachdenkt.

Also, Leinen los für das Lernerlebnis mit der Pénichette Pechlaurier.

eigenes Foto

Motivation:

Eines der für mich wichtigsten Elemente in gelingenden Lernprozessen. In meinem Fall: Nachdem ich als Neunjährige schon mal ein Hausboot steuern durfte, wollte ich diese Art des Urlaubs wiederholen. Nun hatten wir ein vierköpfiges Team zusammen – und ich hatte sie in das Abenteuer hineingezogen. Daher war meine Motivation klar: Ich muss dafür sorgen, dass dieses Boot reibungslos von Argens nach Lattes gefahren wird. Eine gute Beweggrund, um bei der Einweisung durch den Guide möglichst viel zu lernen.

Die Motivation gemeinsam mit den Lernenden zu finden, ist wichtig für gelingende Lernprozesse. Wie es nicht geht, machte mir ein Dozent für Berufsbildungsrecht klar: „Keiner liest gerne Paragraphen, das ist ein trockenes Thema, aber Sie brauchen das für Ihre Prüfung.“ Wenn er wenigstens gesagt hätte, dass wir diese Themen in unserer beruflichen Praxis benötigen, hätte er uns besser für sein Fachgebiet begeistern können.

Was gewinnen die Lernenden durch dieses Lernangebot“ – das ist eine gute Frage, um viele verschiedene Aspekte zu finden und damit individuell auf die Lernenden eingehen zu können.

Auf existentes Wissen aufbauen kann helfen – aber auch hinderlich sein:

Bootfahren ist doch so ähnlich wie Autofahren: Sowohl Boote wie auch Autos haben einen Motor und ein Steuer, es gibt Verkehrsregeln, die man beachten muss. Nicht ohne Grund dürfen Hausboote auf vielen Gewässern ohne Bootsführerschein gefahren werden.

So hatten wir schnell verstanden, wie die wichtigsten Knöpfe bedient werden müssen. Aber Wissen ist nicht Können. Die ersten Fahrversuche brachten den größten Unterschied zwischen unserer Penichette und einem Auto hervor: Autos steuert man über die Vorderräder, unser Hausboot jedoch über das Heck. Und da entpuppten sich die Fahrroutine und die ausgeprägten Vernetzungen im Gehirn unserer Kapitänin als Hindernis. Mein Gehirn dagegen – nicht ans regelmäßige Autofahren gewöhnt – hatte es leichter, zwischen den Bahnen „Achtung, jetzt Autofahren“ und „Achtung, jetzt Bootfahren“ zu wechseln und so fiel es mir einfacher, die für die aktuelle Situation erforderlichen Handlungen einzuüben.

Für leichte Lernprozesse müssen wir also zwei Dinge berücksichtigen: Zum einen ist es wichtig, möglichst viele Andockstellen zu vorhandenem Wissen zu identifizieren („Das ist so wie …“, „Sie kennen schon …“), damit sich neue Informationen leicht im Wissensnetz verfangen können. Zum anderen müssen wir aber auch bewusst sein, welches Wissen im Weg steht und erst vergessen werden muss, bevor wir Neues lernen können.

Unterstützung durch Peers:

Unser Guide bot an, uns zur ersten Schleuse zu begleiten, die gleich nach 500 Metern die erste Herausforderung für neue Bootsfahrer darstellte. Ich wollte gerade begeistert zustimmen, als unsere Kapitänin dankend ablehnte und mich aufforderte: „Dann fahr mal los.“
Das erste Schleusenmanöver gehörte gelinde gesagt nicht zu meinen größten Erfolgserlebnissen. Die Pénichette im richtigen Winkel an die Schleusenwand zu steuern, erwies sich als extrem herausfordernd. Aber Hilfe war da. Die Besatzung eines anderen Boots sprang herbei, unterstützte mit konkreten Anweisungen und packte mit an, um uns festzumachen. Und sie boten mentale Unterstützung: „Das wird mit jeder Schleuse besser, wir haben uns an unserem ersten Tag auch so blöd angestellt.

Was der eine (noch) nicht weiß oder kann, steuert ein anderer Lernender bei. Das ist ein Vorteil von social learning. Dazu kommen beim Lernen in Gemeinschaft Ermunterung, Motivation, Bestärkung – zumindest im günstigen Fall. Und im Gehirn werden beim gemeinsamen Lernen mehr Areale aktiviert, als wenn wir uns allein durch lange Texte kämpfen oder die komplexe Menüführung des neuen Tools verfluchen. Mehr aktivierte Areale heißt mehr Verknüpfungen und damit eine bessere Behaltenswahrscheinlichkeit.

Schnelle und konstruktive Rückmeldungen:

Die ermutigenden Worte der anderen Bootscrew stellten sich als richtig heraus. Langsam wurde aus meinem chaotischen Zick-Zack-Kurs ein geradliniger. Ich lernte, die Reaktionen des Bootes besser einzuschätzen, ich erkannte, wie lange die Pénichette braucht, um auf Steuerbewegungen zu reagieren und ich wurde zunehmend geübter darin, nicht nur das Steuer, sondern zusätzlich auch die Heckstrahldüsen zu benutzen. Am Ende des Tages fädelte ich das Boot mit Leichtigkeit (aber mit Höchstkonzentration) am letzten freien Ankerplatz ein und enttäuschte so die Herren vom Nachbarboot, die auf erheiternde Unterhaltung gehofft hatten.

Regelmäßige Rückmeldungen beeinflussen nicht nur den Bootskurs, sondern machen auch den Lernprozess geradliniger. Aus – hoffentlich – aus der Mode gekommenen Lernprogrammen kennen wir Feedback nur an einer Stelle: Am Ende eines Kurses, um zu bestimmen, ob wir ihn erfolgreich absolviert haben oder nicht. Ein aktivierender Kurs bietet dagegen immer wieder Möglichkeiten, das frisch Gelernte gleich anzuwenden und damit zu überprüfen, ob wir in die richtige Richtung gehen. Regelmäßige Rückmeldungen haben den Vorteil, dass sie uns kleine Korrekturschritte anstelle einer großen Kraftanstrengung ermöglichen.

Erfolgserlebnisse, neue Herausforderungen und die berühmte Komfortzone

Die leichten Strecken fuhren jetzt die anderen und ich aalte mich wie geplant an Deck in der Sonne und schaute in den Himmel. Doch immer wenn es schwierig wurde, musste ich ans Steuer und so konnte ich meine Routine im Umgang mit der Pénichette stetig steigern. Am letzten Tag, nachdem ich das Boot elegant in eine enge Anlegestelle manövriert hatte, gab es das Kompliment: „Du kannst auch ein Boot durch ein Nadelöhr einfädeln!“ Gerne hätte ich mich am Anfang manchmal gedrückt, es gab genügend Situationen, die mich über die Grenze meiner Komfortzone spülten. Aber genau in diesem leicht unangenehmen Bereich lernen wir. In unserem Fall hieß das konkret: Wir lernten, dass es schlau gewesen wäre, vor der Durchfahrt durch eine kleine Brücke den Sonnenschirm abzunehmen und das Tempo zu drosseln. Dem Geländer wäre es besser bekommen und wir hätten auch nicht den Verlust des Sonnenschirms erklären müssen.

Innerhalb der Komfortzone greifen wir auf Bewährtes und Bekanntes zurück und haben leicht Erfolgserlebnisse. Lernen findet hier im Sinne von „effektiver“ oder „schneller“ statt. Neue Fähigkeiten können wir uns jedoch nur aneignen, wenn wir uns neuen Erfahrungen stellen. Das ist im günstigsten Fall spannend und aufregend, im schlechtesten Fall überfordernd und stressend. Daher brauchen wir Lernsituationen, in denen Lernende Spaß daran haben, ihre Komfortzone zu verlassen und sich mit Freude auf ein bisschen Aufregung einlassen. Kleine Schritte in die unbekannte Gegend außerhalb unserer Komfortzone ermöglichen genügend Erfolgserlebnisse, um unsere Motivation aufrecht zu halten.

Zusammengefasst:

Lernen fällt leicht, wenn …

  • eine Motivation vorhanden ist, z.B. weil es ein ungelöstes Problem gibt, das im Weg steht („Wie kann ich …“), etwas zu mühselig ist oder selten zum Erfolg führt („Wie kann ich besser/schneller/erfolgreicher …“). „Die Prüfung bestehen“ ist eine weitere Motivation, die allerdings häufig zu „last minute“-Lernattacken führt.
  • wir auf existierendes Wissen aufbauen und mit einfachen Schritten beginnen, um so schrittweise die Kompetenz für komplexere Aufgaben erwerben („Path to mastery“). Überforderung führt tendenziell zu Misserfolgen und beeinträchtigt so die Motivation.
  • wir in sozialen Settings lernen können
    Die gute alte Gruppenarbeit hat ihre Vorteile, ist aber nicht die einzige Möglichkeit, zusammen mit anderen zu lernen. Der Austausch in einem Forum, das Kommentieren von Arbeiten der Mitlernenden, das Ausprobieren von neuen Fähigkeiten mit Hilfe der Peers – all das kann Lernprozesse intensivieren.
  • die Umsetzung des Gelernten zeitnah möglich ist (schnelle Rückmeldung). Das ist am einfachsten beim arbeitsplatznahen Lernen zu erreichen. (Kann ich jetzt bei dem anstehenden Problem das neu gelernte Wissen anwenden?). Simple Multiple-Choice-Tests ohne konstruktive Rückmeldungen gehören daher nicht zu gut gestalteten Lernprozessen.
  • wir vor herausfordernde, aber lösbare Probleme gestellt werden (knapp außerhalb der Komfortzone) und so eine gute Balance zwischen Erfolgserlebnissen und unbekanntem Terrain haben.

Frank Pykos Frage nach unseren Lernerfahrungen hat in mir ein paar schöne Urlaubserinnerungen wachgerufen und gleichzeitig einige wichtige Erkenntnisse beschert. Sie hatte aber noch eine zweite Seite:

Was war eine besonders ungute Lernerfahrung?

Dazu mehr in einem weiteren Artikel.

eigenes Foto

Das Glühbirnchen: Image by Clker-Free-Vector-Images from Pixabay

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