Microlearning ganz privat: Ich tanze seit meinem 11. Lebensjahr – mein Mann seit 11 Tagen, genauer gesagt seit der Corona-Ausgangssperre. Ein Unterschied, der nicht leicht zu überbrücken ist. Unser Trick: Wir haben uns auf Lindy-Hop geeinigt, denn beide mögen wir Swing-Musik und auch ich kenne die Schritte nicht. Unsere Lehrer sind Sylvie Rene und ihr Partner, die eine Serie von Youtube-Videos erstellt haben, unser Tanzsaal ist die Küche, da dort der Boden am wenigsten knarrt. Wir haben uns als Ziel gesetzt, die gesamte Serie der Videos zu absolvieren – in dem Tempo, das wir brauchen.

Was das mit Microlearning und Unternehmenserfolg zu tun hat? Und was ist Microlearning eigentlich? Schauen wir mal auf die einzelnen Aspekte:

Unterschiedliche Voraussetzungen:

Dass Lernende unterschiedliche Voraussetzungen mitbringen, ist heutzutage in Trainings eher die Regel als die Ausnahme. Nicht immer sind die Unterschiede so extrem, wie bei meinem Mann und mir. Es reicht aber schon, wenn einer der Lernenden zunächst die Grundbegriffe verstehen muss, während eine andere gleich in praktische Problemfälle einsteigen möchte.

Microlearning – insbesondere in Kombination mit dem Flipped-Classroom-Ansatz – schafft den Ausgleich. Bevor Lernende zusammenkommen, können sie sich ihr Lernmenü zusammenstellen und sich so effektiv genau das Wissen aneignen, das zum gemeinsamen Arbeiten im synchronen Lernevent erforderlich ist. Für Trainer/-innen oder Lernbegleiter/-innen bedeutet das eine intensive Vorbereitung: Welche Kenntnisse sind für die geplanten Übungen und Diskussionen erforderlich? Wie überprüft man sie überprüft, damit die Lernenden entscheiden können, mit welchen Mikrolerneinheiten sie sich vorher beschäftigen möchten? In welche Mikrolerneinheiten werden die erforderlichen Kenntnisse gepackt?

Lernprojekt und -ziel:

Unser Lernprojekt heißt: Die Grundschritte so gut zu lernen, dass wir uns auf die Tanzfläche trauen. Ein gemeinsames Projekt stärkt die Ausdauer auf dem Lernweg. Ob es eine Gruppe ist, die aufgrund eines Lernprojekts zusammenkommt oder ein Team, das sich auf einen gemeinsamen Lernweg macht – Klarheit über das Lernziel ermöglicht eine bessere Steuerung des Lernwegs.

Microlearning kann insbesondere die Ausdauer beflügeln. Aus dem Zeitmanagement stammt die schöne Formel „6 x 10 Minuten sind nicht dasselbe wie 1 x 60 Minuten“. Geht es um das konzentrierte Arbeiten, ist ein größerer Zeitblock effektiver. Geht es ums Dranbleiben, um die Ausdauer auf einem langen Weg, sind kleine Einheiten besser: Ein 5-minütiges Video, dem zwei Fragen folgen, lässt sich leichter in einen vollen Arbeitstag integrieren als ein einstündiges Video. Hollywood-Techniken lassen die Neugierde auf das nächste Lernhäppchen steigen – Cliffhanger funktionieren auch beim Lernen. Baut man Gamification-Elemente ein, sehen die Lernenden z.B. ihren Fortschritt („3 von 12 bearbeitet“), aber auch Quizfragen oder Challenges lassen sich leicht integrieren.

Motivation:

Microlearning erhöht die Motivation
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Es wäre sicher übertrieben zu sagen, dass unser Eheglück am Swingtanzen hängt. Dennoch sind wir durch dieses „höhere Ziel“ motiviert. Für Lernende ist ein solches Ziel hilfreich, um auch dann am Lernen zu bleiben, wenn es mal langweilig werden sollte (soll es natürlich nicht, aber man weiß ja nie). Gerade im Unternehmenskontext kann das vorkommen – nicht immer ist es spannend, die Veränderungen des Reklamationsprozesses zu verstehen, technische Details einer neuen Produktversion zu lernen oder sich mit Datenschutzbestimmungen zu beschäftigen.

Microlearning kann das höhere Ziel immer wieder wach rufen. Wir lernen dann nicht die neuen Schritte im Reklamationsprozess, sondern wir durchlaufen eine Reihe von Mikrolerneinheiten, um die besten Kundenbetreuer zu werden. Wir grübeln nicht über die neuesten technischen Details eines Produkts, sondern wir sind auf dem Weg, exzellente Problemlöser für unsere Kunden zu werden. Und auch die Datenschutzbestimmungen können interessant werden, wenn man ein paar kreative Ideen einsetzt.

Auswahl der Lehrer/Materialien:

Microlearning-Angebote gut auswählen
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Microlearning wird i.d.R. für das Selbstlernen eingesetzt. Videotutorials gibt es zu allen möglichen Themen, Infografiken erläutern Zusammenhänge oder es werden einzelne Arbeitsschritte über Checklisten präsentiert. Wenn es darum geht, Informationen zu finden, brauchen wir uns keine Sorgen zu machen. Aber nicht alles, was kurz ist, ist auch gut geeignet, um den Lernerfolg zu sichern. Ein paar wichtige Kriterien helfen bei der Auswahl:

  • Was bedeutet „Mikro“ in dem gewünschten Kontext?
    Typischerweise werden Lerneinheiten als „Mikro“ bezeichnet, wenn sie maximal 15 Minuten dauern. Für viele Anwendungsbereiche sind allerdings mehr als zwei oder drei Minuten schon zu lang. Kurz vor dem Meeting habe ich vielleicht Lust auf zwei Minuten Tipps zur Gesprächsstrukturierung, aber nicht die Zeit, mich eine Viertelstunde mit den Grundlagen guter Meetings zu beschäftigen. Während ich an einem Excel-Report arbeite, möchte ich vielleicht schnell ein paar Tricks lernen, nicht jedoch die grundlegenden Formatierungsoptionen.
  • Was soll erreicht werden?
    Geht es um die Einübung von neuen Skills wie bei unserem Swing-Projekt, brauchen wir andere Formate als wenn wir bestehendes Wissen aktualisieren oder auffrischen möchte. Video-Tutorials eigenen sich gut, um etwas Neues zu erklären, Quizformate passen dagegen eher für Wiederholungsübungen. Mikro-Challenges, kleine Aufgaben, die die Lernenden schrittweise aus ihrer Komfortzone bringen, sind eine Kombination, sie verbinden spielerische Elemente mit dem Erlernen von neuen Skills.
  • Wen brauchen die Lernenden?
    Geht es um den inspirierenden Funken, den ein kurzer Input einer Expertin bieten kann? Oder wollen wir konkrete Anwendungstipps vermitteln, über die der Kollege aus dem anderen Standort wesentlich glaubwürdiger sprechen kann als ein externer Experte? Soll es der Guru aus einem Youtube-Channel sein oder möchte ich mehr Fakten? Die Bedürfnisse der Lernenden zu kennen, hilft bei der Auswahl, Erstellung oder Kuratierung von Mikrolerneinheiten.
  • Welche Präferenzen haben die Lernenden? Und was passt zum Inhalt?
    Videotutorials werden häufig als erstes Beispiel für Mikrolernen angegeben. Aber nicht jeder lernt gerne mit einem Video (in unseren Swing-Tutorials stört den Bayern der schwäbische Akzent) oder hat die Möglichkeit, in Ruhe ein paar Videos anzusehen. Dagegen sind Videos häufig der beste Weg, wenn es darum geht, konkrete Schritte, wie z.B. bei der Bedienung einer Software, zu zeigen. Idealerweise werden verschiedene Formate zur Verfügung gestellt. Folgt man diesem Gedanken schon bei der Erstellung von Mikrolerneinheiten, kann man leichter aus dem Video einen Podcast machen, aus dem Artikel eine Infografik oder beim Schreiben gleich einen Quiz mitbefüllen.

Lernumgebung und -räume:

Für unsere Swingtanzminuten brauchen wir unsere Küche und den stabilen Boden, um nicht den Nachbarn auf dem Kopf herumzutrampeln. Lernende im Unternehmen brauchen ebenfalls eine gute Lernumgebung, die es ihnen ermöglicht, leicht und ohne Beeinträchtigungen zu lernen. Mikrolernen hat den Vorteil, dass keine große Infrastruktur nötig ist, das Smartphone oder eine ausgedruckte Infografik reichen. In der Regel brauchen Lerner auch keine separaten Räume, um in Ruhe zu lernen. Allerdings können ein paar Punkte den Einsatz und die Wirkung von Microlearning fördern:

  • LMS und andere Tools: Werden Mikrolerneinheiten über ein LMS angeboten, ist es wichtig, eine gute Suchfunktion zu haben. Muss ich mich als Lernende erst durch fünf Menü-Ebenen klicken, habe ich vielleicht schon mehr Zeit verbraucht, als ich für das Lernen aufwenden wollte oder konnte.
  • Wie kann auf die Mikrolerneinheiten zugegriffen werden? Das private Smartphone wäre eine Lösung, es ist aber nicht in jedem Unternehmen erlaubt, über private Geräte auf die Unternehmensserver zurückzugreifen. Vor allem für Lernende aus Bereichen, in denen die Arbeitsplätze nicht mit einem Computer ausgestattet sind, bieten sich Lerninseln an, in denen z.B. Tablets ausgeliehen werden können. Wandbildschirme, wie sie häufig für die Visualisierung von Produktivitätszahlen genutzt werden, eignen sich gut für das Einspielen von kurzen Lerneinheiten.

Ein einfaches Tool und ein geniales Beispiel für Mikrolernen:

Tools für Microlearning
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Mit dem Tool Learning Snacks kann man schnell kurze Lerneinheiten erstellen. Oder auch erkennen kann, wie viel Arbeit man in gut strukturierte, didaktisch relevante Snacks investieren kann. Viele der veröffentlichten Learning Snacks sind OERs. Der Schwerpunkt liegt im schulischen oder privaten Bereich, man kann aber einen eigenen Channel starten und so z.B. den Zugriff auf die selbst erstellten Snacks einschränken. Ein schönes Beispiel zeigt die Möglichkeiten zur Gestaltung und führt gleichzeitig in die Learning Snacks ein

Es gibt viele tolle Beispiele, wie Mikrolernen aussehen kann. Mich hat insbesondere die App des Teams rund um die Liberating Structures begeistert. Sowohl in der App und auch auf der Website sind die Inhalte gut strukturiert und damit sofort anwendbar. Ergänzend gibt es die Möglickeit, tiefer in die einzelnen Methoden einzusteigen und so noch mehr zu lernen. Ein schönes Beispiel, wie sowohl Erstlernende als auch Auffrischer das finden, was sie gerade brauchen.

Nachtrag und Ausblick

Ausblick
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Seit unserer ersten Swing-Stunde sind bereits vier Wochen vergangen. Wir sind beim dritten Video angelangt. Oder besser gesagt: bei der 20. Mikrolerneinheit. Für den Neueinsteiger erwiesen sich selbst die ca. 6-8-minütigen Videos als zu komplex. Deshalb haben wir die Lernschritte noch mikroskopischer gemacht. Nur ein Schritt. Dann üben. Nochmal üben. Festigen. Dann den nächsten Schritt testen. Üben, … Die Erfolge sind klein, aber sichtbar!

Ist Mikrolernen also das Allheilmittel für alle Lernbedürfnisse? Natürlich nicht. Aber für alle Themen, die abgeschlossen innerhalb von kurzer Zeit vermittelt werden können, bei denen sich kurze Lerneinheiten zu einem größeren Projekt verbinden lassen oder für schnelle Antworten auf konkrete Anwendungsfragen, sind Mikrolerneinheiten eine gute Wahl.

Comments (2)

  1. Nicole

    Antworten

    Wieder einmal sehr hilfreicher Blog. Danke, Britta! Die Tools habe ich mir gleich mal gespeichert 🙂 LG, Nicole

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