Dieser Artikel ergänzt meinen Vortrag im Rahmen des Programms von Action for Happiness anlässlich des Weltglückstags 2024.

Rosarote Brillen

Die rosaroten Brillen sind ein Bild, eine Metapher. Sie zeigen die Möglichkeit auf, die wir in jeder Situation haben: Wir können durch die Wahl der Brille, also unserer Sichtweise, Situationen anders wahrnehmen und auch anders bewerten.

Meine Beschreibung der Methode der rosaroten Brillen lehnt sich an die Coaching-Technik des Reframings an. Reframing bedeutet, einen anderen Rahmen (=frame) um eine Situation zu legen. Die Grundlage für diese Technik ist die Erkenntniss, dass unsere eigene Interpretation einer Situation unsere Gedanken, Gefühle und damit auch Handlungen beeinflusst.

Wir bleiben aber bei den Brillen und stellen uns die großen Auswahl beim Optiker vor.

Das nervt …

Rosarote Brillen brauchen wir nur dann, wenn wir gerade die Situation und vielleicht sogar die ganze Welt eher durch graue, trübe, dunkle Gläser betrachten. Jetzt könnt Ihr natürlich einwenden: „Dafür gibt es ja auch viele Gründe!“ Das stimmt. Dennoch gibt es Menschen, die dieselben Gründe ansehen und dennoch den Lichtschein erkennen, sich selbst aus dem Trübsal holen und auch in die Aktivität kommen können. Zum einen kann es sein, dass diese Menschen einen genetischen Vorteil haben und ihr Gehirn mehr auf der Glücksseite denkt. Zum anderen – und das ist wichtig – ist es aber das Verhalten, das es diesen Menschen ermöglicht, Situationen etwas rosiger als andere zu sehen. Warum ist das wichtig? Bei den Genen können wir nur wenig ändern – obwohl man das mit der Epigenetik heute auch anders sieht. Anderes Thema. Aber beim Verhalten können wir uns jedes Mal neu entscheiden. Und je mehr Verhaltensoptionen wir zur Verfügung haben, desto eher können wir ein passendes Verhalten auswählen. So auch in Situationen, die nerven. Z.B.:

„Gerade, als ich um die Ecke kam, ist der Idiot von Busfahrer losgefahren! Der hat mich doch noch gesehen! Das war Schikane!“

„Na toll, schon wieder sitze ich hier mit dieser blöden Arbeit. Immer muss ich das machen, mein Kollege kann sich immer drücken!“

„Ich bin lahmgelegt. Für Wochen. Bein gebrochen. Die nächsten Monate sind gelaufen.“

Eine Brille wählen

Wenn wir diese und ähnliche Situationen anders wahrnehmen und bewerten wollen, brauchen wir andere Brillen. Die finden wir im Regal, wenn wir nach diesen Punkten suchen:

  • Wie kann ich die Situation sprachlich anders beschreiben?

Beispiel: Statt „große Katastrophe“ ist es vielleicht nur „ärgerlich“

  • Wie kann ich die Situation aus einer anderen Perspektive betrachten?

Beispiel: Statt „Idiot von Busfahrer“ und „Schikane“ ist es vielleicht der eng getacktete Fahrplan und der dicht Feierabendverkehr, der dem Busfahrer keine Puffer mehr lassen, auf mich zu warten.

  • Wie kann ich positive Aspekte identifizieren und neue Handlungsoptionen finden?

Beispiel: Was kann ich mit der „gewonnenen“ Zeit machen, die ich nun auf den nächsten Bus warten muss? Vielleicht kann ich nun doch noch beim Bäcker reinhüpfen und mir ein Brötchen holen.

Das gebrochene Bein

Im Fall des gebrochenen Beins können wir erst einmal die negative Brille betrachten:

„Ich bin lahmgelegt, ich kann dieses Jahr keine Radtour machen, ich werde mindestens zehn Kilo zunehmen und voller Frust zusehen, wie sich alle anderen im Sommer vergnügen. Wahrscheinlich werde ich einen bleibenden Schaden behalten und nie wieder Radfahren können. Dann wird sich mein Mann andere Personen für die Touren suchen und mich alleine zu Hause sitzen lassen.“

Wenn wir die sprachliche Beschreibung ändern wollen, könnte z.B. das hier dabei herauskommen:

„Ich bin aus dem Verkehr gezogen. Inspektion. Dauert länger als geplant. Mal sehen, was rauskommmt.“

Wenn wir eine andere Perspektive einnehmen wollen, könnten wir das Fahrrad sprechen lassen: „Endlich kann ich mich mal erholen.“ – Das passt hier natürlich nicht. Aber wir könnten uns in andere Personen hineinversetzen und aus deren Perspektive auf die Situation blicken: „Andere Personen haben auch ihre Schwierigkeiten – z.B. kann Kathrin gar nicht mehr Fahrradfahren nach ihrer OP.“

Besonders interessant ist es, die positive Aspekte und neue Handlungsoptionen suchen. Z.B. kann ich die Zeit, die ich jetzt nicht Radfahren kann, für andere Hobbys nutzen, z.B. endlich meinen Stapel Bücher lesen. Oder testen, ob das tatsächlich stimmt, was eine Studie gezeigt hat: mentales Training kann den Muskelabbau verringern. Also könnte ich mir jeden Tag eine gute Radstrecke vorstellen und 20 Minuten mental in die Pedale treten.

Oder vielleicht ist es auch gut, mal ein bisschen runterzuschalten. Oder etwas machen, was ich schon immer gedacht hatte: meine Radtouren in einem Blog zu veröffentlichen.

Das sind alles Ansätze, um aus einer vermeintlich schlechten und auswegslosen Situation noch etwas Gutes herauszuziehen. Das soll jetzt nicht heißen, dass es immer und überall klappt – oder auch sinnvoll ist.

Ein paar Schwierigkeiten gibt es schon

  • Hindernisse:

Wenn ich eine Menge von negativen Glaubenssätze mit mir herumtrage oder grundsätzlich unwillig bin, eine Veränderung herbeizuführen, wird es schwierig sein, die passende rosarote Brille zu finden. In diesen Situationen gibt es tiefergehende Schwierigkeiten, bei denen ich mir andere Techniken oder auch eine professionelle Begleitung suchen sollte.

  • Realitätsflucht

Immer nur noch rosarote Brillen? Das wäre auch nicht gut. Unser Leben hat Höhen und Tiefen und wir brauchen beides, um wirklich lebendig zu sein. Es geht nicht darum, die Realität zu verleugnen oder negative Erfahrungen zu bagatellisieren. Es geht darum, das Fünkchen Hoffnung oder Energie zu finden, mit dem ich aus einem Tal wieder herauskommen kann – vor allem auch, indem ich selbst etwas ändere.

  • Emotionen

Regenwolken gehen auch nicht einfach weg, sondern müssen abregnen. Genauso gilt es für Emotionen. Gefühle wie Ärger oder Trauer wollen häufig erst einmal anerkannt werden. Es braucht dann Zeit, bis andere Brillen gewählt werden können. Wie lange – das ist unterschiedlich. Ein spontaner Ärger wie beim verpassten Bus ist nach kurzer Zeit bereits wieder vorbei. Wenn ich mich nicht immer wieder neu ärgere, dauert das ca. 90 Sekunden, bis diese Emotionen durch ist. Trauer oder tieferliegende Ängste brauchen mehr Zeit. Diese Zeit darf man sich auch geben. Und gleichzeitig vielleicht ab und zu in bestimmten Situationen schon mal die rosarote Brille rausholen – oder sogar aufsetzen.

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